Haus der Kunst, München
14. April — 23. Juli, 2023
Mit Trace – Formations of Likeness präsentiert die The Walther Collection ihre erste große Übersichtsausstellung in Deutschland im Haus der Kunst, München. Mit mehr als 3000 Werken von Künstler*Innen aus verschiedenen kulturellen Hintergründen sowie Archiv-, Dokumentar- und Vernakuläre Fotografien aus den letzten drei Jahrhunderten, bietet die thematische Gruppenausstellung einen globalen Kontext, um über die unterschiedlichen Entwicklungen der Fotografie und der linsenbasierten Medien zu reflektieren. Die Bilder und Kunstwerke verdeutlichen, wie die Fotografie seit ihrer Entstehung im 19. Jahrhundert sowohl als Instrument der Selbstermächtigung und -definition als auch der Kontrolle und Unterwerfung eingesetzt wurde. Viele der ausgestellten Werke werden von der Sammlung zum ersten Mal präsentiert, darunter seltene Daguerreotypien, handkolorierte Tintype-Porträts, Ferrotypien und fotografische Alben, ergänzt durch zeitgenössische Neuerwerbungen.
„Transdisziplinäre Ansätze, transnationale Perspektiven, kollaboratives Arbeiten, historische Neubewertung und die Präsentation von aufstrebenden Künstler*Innen und Wegbereiter*Innen der jüngeren Vergangenheit bestimmen in diesem Jahr die Ausrichtung des Programms im Haus der Kunst. Diese verschiedenen Fäden führen die umfangreiche Gruppenausstellung Trace – Formations of Likeness zusammen.“ - Andrea Lissoni, Künstlerischer Direktor Haus der Kunst
Trace untersucht, wie Fotograf*innen unterschiedlicher Kulturen in der Geschichte des Mediums das fotografische Porträt / Porträtfotografie als Instrument kritischer Forschung verwenden. Die Ausstellung visualisiert verschiedene politische und kulturelle Faktoren, die individuelle und kollektive Subjektivitäten prägen – mit einem besonderen Fokus auf der Beziehung zwischen (Selbst-)Darstellung und sozialen Konstruktionen von Identität. Dieser konzeptionell fundierte Ansatz begleitete Entwicklung der The Walther Collection seit ihrer Entstehung, und wurde öffentlich im Rahmen des kuratorischen Konzepts der Eröffnungsausstellung Events of the Self – Portraiture and Social Identity (2010) durch den verstorbenen Okwui Enwezor (1963-2019), renommierter Kurator, Wissenschaftler, Denker und ehemaliger Direktor des Haus der Kunst, artikuliert.
"Ähnlich wie bei früheren Ausstellungen, die aus der Sammlung kuratiert wurden, setzt Trace - Formations of Likeness einen starken konzeptionellen Ansatz, der die unterschiedlichen Wege hervorhebt, auf denen soziale Identitäten geformt und betrachtet werden können. Das Projekt veranschaulicht die kontinuierlichen Bemühungen der The Walther Collection, die Geschichte der Fotografie jenseits konventioneller zeitlicher, kultureller und geografischer Grenzen kritisch zu betrachten." – Artur Walther
In Trace finden sich zahlreiche Fotografien die in kommerziellen Fotoateliers und privaten Heimstudios – oder in ländlichen und städtischen Umgebungen – als dokumentarische Aufzeichnungen und persönliche Erinnerungsstücke entstanden sind, sowie künstlerische Fotografien und konzeptuelle Serien.
Die vielfältige Darstellung des menschlichen Körpers im Bild tritt hier offen in einen Dialog – von den Anfängen der Fotografie in der viktorianischen Ära bis zu zeitgenössischen Straßen- und Studioporträts heute. Durch den Einsatz unterschiedlicher Methoden und Techniken hinterfragen diese Porträts die unzähligen Möglichkeiten und Herausforderungen, die sich aus der repräsentativen Politiken der Fotografie ergeben, wobei die ausdrucksstarke Beschaffenheit des Gesichts als vermittelndes Element dient.
Der Schwerpunkt von Trace - Formations of Likeness liegt auf der Porträtfotografie von Menschen, Objekten und Orten sowie auf der Nachzeichnung gesellschaftlichen Wandels in unterschiedlichen geografischen, soziopolitischen und kulturellen Räumen. Das fotografische Porträt wird als Mittel zur Gestaltung von Identität, zum Vorantreiben von sozialem Wandel und als subversive Strategie der Sichtbarkeit eingesetzt, oftmals verbunden mit einer eingehenden Untersuchung der Politik von Erinnerung, Geschichte und Verkörperung. Die ausgestellten Porträts reichen von Zanele Muholis visuellem Aktivismus mit ihrer eindringlichen Präsentation Schwarzer Angehöriger der südafrikanischen LGBTQ+ Szene, über Accra Shepps Serie von Occupy Wall Street Demonstrant*innen, die in den Straßen von New York gegen soziale und wirtschaftliche Ungleichheit aufbegehren, bis hin zu Zhang Huans Dokumentationen seiner Performances, in denen das menschliche Antlitz in eine Bühne verwandelt wird und kulturelle Zugehörigkeit zum Ausdruck bringt.
Die beträchtliche Breite und dialogische Reichweite der Ausstellung, die Werke aus den letzten drei Jahrhunderten umfasst und Künstler*Innen aus Afrika, Amerika, Europa und Asien zusammenbringt, ermöglicht es dem Publikum, nicht nur die parallelen Geschichten des Mediums zu betrachten, sondern auch seine Materialität, kategorisierenden und seriellen Strukturen zu betrachten, zu reflektieren und in Frage zu stellen.
Wie im gesamten Ausstellungsverlauf reflektiert wird, bilden Prinzipien der Taxonomie und Serialität einen fundamentalen Aspekt des Sammlungsbestands der The Walther Collection dar. Porträtfotografie wird strategisch als strukturelles und konzeptionelles Werkzeug eingesetzt, um ‚Ähnlichkeit‘ – und ‚Andersein‘ – zu kategorisieren und zu dokumentieren, die organisatorischen Fähigkeiten des Mediums betonend. Über verschiedene geografische und zeitliche Distanzen hinweg – von J.D. 'Okhai Ojeikere im Nigeria der 1960er Jahre über Bernd und Hilla Becher im Nachkriegsdeutschland bis hin zu Munemasa Takahashi im Japan der 2010er Jahre – verwandeln die Fotografierenden, oft aus dem Blickwinkel ihrer sozialen und persönlichen Identität, individuelle Darstellungen in systematische und gemeinschaftliche Bildrepertoires.
Im offenen Dialog mit den Komplexitäten visueller Archive der Vergangenheit und ihrer inhärenten Machtverhältnisse werden Fragen der Handlungsfähigkeit und Sichtbarkeit, Spiritualität und Sexualität, der Unterdrückung und Befreiung untersucht, aktiviert und belebt: Der Körper erscheint als umstrittener Ort für die Neukonfiguration – und Kartierung – von Differenz, durch subversives Verneinen binärer Geschlechterrollen, durch entschlossene Akte der visuellen Konfrontation des kollektiven und individuellen Widerstands sowie durch Sichtbarmachung von marginalisierten Lebensrealitäten und Gender-Queerings.
Dialoge zwischen ethnografischer Fotografie des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts und kritischen Auseinandersetzungen mit ihrem komplexen Bildarchiv bilden den Schwerpunkt mehrerer Galerien. Präsentiert im Tandem mit zeitgenössischen Kunstwerken, die sich mit dem kolonial-afrikanischen Bildarchiv auseinandersetzen, wirft diese Konzeption provokante Fragen zur historischen Verwendung der Fotografie und zu den zahlreichen Fiktionen, die sie untermauern, auf.
Eine exemplarische Darstellung dieser kritischen visuellen Untersuchung findet sich in Santu Mofokengs visonärer Diaschau "The Black Photo Album/Look at Me: 1890–1950", die die Natur der Repräsentation, anti-archivarische Praktiken und die Politik des fotografischen Blicks eindrucksvoll in den Fokus stellt.
In einer weiteren Präsentation werden Porträtbilder mobilisiert, um komplexe Konzepte der Identität und Identifizierung als kontinuierliche soziopolitische fotografische Prozesse zu veranschaulichen, die routinemäßig vom Staat kontrolliert werden: Methoden, auf die zeitgenössische Bildschaffende mit eindringlichen künstlerischen Interventionen antworten, indem sie die Konventionen des Genres kreativ hinterfragen – beispielsweise durch gesichtslose und invertierte Passfotos, präsentiert als Kunstwerke der Identitätsfotografie in Martina Bacigalupos Gulu Real Art Studio oder in den Werken von Kay Hassan.
In verschiedenen ausgestellten Arbeiten dienen die Fotografischen Medien als Zeugnisse kollektiver Erinnerungen, Ideologien und in der Landschaft verankerten Geschichten: Lebensräume werden unwiderruflich von menschlichen Handlungen, sowohl in der Vergangenheit als auch in der Gegenwart, geprägt. Sie bilden den Ausgangspunkt für intensive visuelle Untersuchungen, die die fortwährenden Nachwirkungen von gewaltsamen Eingriffen in das Land erforschen – von (Bürger-)Kriegen, Apartheidregimen, Vertreibungen, Mineralienabbau oder moderne Energieproduktionen.
Die unterschiedliche Art und Weise wie verschiedene Künstler*Innen den menschlichen Körper in Beziehung zur Topografie der Landschaft gezielt einsetzen / platzieren wird in mehreren Ausstellungsräumen durch eine Reihe von symbiotischen – und kontroversen – Darstellungen von Körpern und Landschaften erforscht.
"Diverse Körper – ruhend, vereinend, transgressiv – wandernd, agierend, verkörpernd – manifestieren als aktive Präsenzen und kraftvolle Dialogpartner in mysteriösen Landschaften und natürlichen Umgebungen, in denen die menschliche Handlungsfähigkeit durch das gezielt ausgerichtete Objektiv der Fotograf*Innen visualisiert wird: Mit dem Betätigen des Auslösers aktivieren sie die einzigartige Fähigkeit der Fotografie, zeitbezogene Handlungen und Zustände verschiedener soziokultureller Schichten und geografischer Kontexte freizulegen, zu dokumentieren und zu bewahren. Der Körper erscheint als Leinwand, kollektiv und individuell eingeschrieben, sowohl geschlechtsspezifisch als auch androgyn. In jedem Raum erschließt die Ausstellung die bemerkenswerte Eigenschaft der Fotografie, als ausdrucksvolle Zeitkapsel zu fungieren und die Betrachter durch wechselnde kuratorische Temperaturen in verschiedene künstlerische Sphären zu führen." Renée Mussai
Mit Fokus auf die dichten urbanen Strukturen und von Menschen geschaffenen Umgebungen der Stadt wird die soziale Ökonomie der öffentlichen Sphäre, insbesondere in Bezug auf politischer und wirtschaftlicher Expansion in Afrika, Japan, China und den USA dargestellt.Sowohl direkte als auch konzeptionelle Aufzeichnungen physischer Strukturen und kommunaler Orte legen die soziopolitischen Hintergründe der akribischen Kartierung der gebauten Umwelt frei.
Yang Fudongs bahnbrechender, mehrkanaligen Filminstallation East of Que Village wird aus dystopischer Perspektive eine tiefgründige Betrachtung der existenziellen Bedingungen des zeitgenössischen China gezeigt. In dem nächsten Raum werden Erkundungen des Körpers und gesellschaftlicher Konzepte der Selbstverortung durch serielle, auf Performance basierende Bild- und Bewegungsstudien mehrerer Künstler*Innen zum Ausdruck gebracht: hierbei werden Vergänglichkeit, sequenzielle Markierungen und das kulturelle Begehren in einer breiten Palette von Werken hervorgerufen – von Eadweard Muybridges wegweisenden fotografischen Studien aus dem späten 19. Jahrhundert bis hin zu Ai Weiweis formelhaftem Akt ikonoklastischer Zerstörung oder der autoethnografischen Dokumentation chinesischer Subkultur und avantgardistischer Performancekunst durch RongRong, sowie Grace Ndiritus eindrucksvoller, symbolhafter Inszenierung ihres eigenen Körpers, der mit Wachstuch bedruckten Stoffen umhüllt ist.
Trace zeigt auch eine Vielzahl ambivalenter vernakulärer Bildrepertoires die von professionellen und Amateurfotografen - viele von ihnen anonym – geschaffen wurden: faszinierende Beispiele fotografischer Darstellungen, die vorherrschende Rollen von Geschlecht, Identität und Sexualität verstärken oder untergraben. Mit Rollenspielen, Transvestismus, Nacktheit, Nachahmung und anderen transgressiven Akten der Durchkreuzung von sozialen Normen brechen sowohl die Fotograf*Innen als auch die Porträtierten routinemäßig mit gesellschaftlichen Konventionen der Fotografie. Hier präsentieren Bilder von Cross-Dressing, geschlechtsspezifischem Wrestling, ritueller Körpergestaltung oder nicht-binärer Transsexualität eine kraftvolle Provokation gegenüber patriarchalischen Institutionen von Häuslichkeit, Überwachung und Zensur und verdeutlichen die Diskrepanzen zwischen öffentlicher und privater Inszenierung von Identitäten.
Mit Werken von Ai Weiwei, Jane Alexander, Dieter Appelt, Richard Avedon, Martina Bacigalupo, Sammy Baloji, Yto Barrada, Bernd & Hilla Becher, Bruce Bellas, Jodi Bieber, Karl Blossfeldt, Candice Breitz, Cang Xin, Edson Chagas, Kudzanai Chiurai, Mitch Epstein, Em’kal Eyongakpa, Rotimi Fani-Kayode, Samuel Fosso, David Goldblatt, A.M. Duggan-Cronin, Kay Hassan, Hong Hao, Huang Yan, Pieter Hugo, Délio Jasse, Seydou Keïta, Lebohang Kganye, Shohachi Kimura, Sze Tsung Nicolás Leong, Lin Tianmiao, Lu Yang, Luo Yongjin, Ma Liuming, Mike Mandel, Christine Meisner, Bob Mizer, Sabelo Mlangeni, Santu Mofokeng, S.J. Moodley, Zanele Muholi, Eadweard Muybridge, Grace Ndiritu, J.D. ‘Okhai Ojeikere, Adolfo Patiño, Dawit L. Petros, Jo Ractliffe, RongRong, Thomas Ruff, Edward Ruscha, August Sander, Zina Saro-Wiwa, Berni Searle, Sheng Qi, Accra Shepp, Yinka Shonibare, Malick Sidibé, Aida Silvestri, Penny Siopis, Song Dong, Yoshikazu Suzuki, Munemasa Takahashi, Michael Tsegaye, Guy Tillim, Hentie van der Merwe, Sue Williamson, Yang Fudong, Zhang Huan, Xu Yong, Kohei Yoshiyuki und anderen sowie anonymen Künstler:Innen und unbekannten Fotograf:Innen.
Kuratiert von Anna Schneider und Hanns Lennart Wiesner, Haus der Kunst.
Entwickelt in enger Zusammenarbeit mit The Walther Collection
mit kuratorischer Beratung von Renée Mussai.
Haus der Kunst
Prinzregentenstraße 1
80538 München
Ein wunderbarer Videobeitrag über die beiden aktuellen Ausstellungen der Walther Collection: "Trace - Formations of Likeness" im Haus der Kunst München und "Beyond the binary"/"Seite an Seite - Santu Mofokeng und David Goldblatt" in den eigenen Museumswänden in Burlafingen.
"Trace" versucht anhand von Aufnahmen von Menschen, Orten und Objekten den gesellschaftlichen Wandel in unterschiedlichen geografischen, soziopolitischen und kulturellen Räumen nachzuzeichnen.
Kürzlich hat Artur Walther seine bis dato größte Ausstellung im Haus der Kunst in München eröffnet: rund 3.000 Fotografien und Videos von Künstlerinnen und Künstlern aus vier Kontinenten: Es ist ein Querschnitt durch die beeindruckende Sammlung und zugleich ein Streifzug durch die Geschichte der Fotografie im globalen Kontext.
Umfassend wie nie im Münchner Haus der Kunst, konzentriert auf dem Campus in Burlafingen: Die neuen Ausstellungen „Traces“ und „Seite an Seite“ zeigen die Breite, Tiefe und Qualität der Walther Collection.
This guest brings a lot of excitement: The Walther Collection is making a stop at the Haus der Kunst in Munich with its photographs and video works.