Fundació Foto Colectania, Barcelona
14.11.2018 — 10.3.2019
Structures of Identity untersucht, wie Fotograf*innen verschiedener Kulturkreise und über unterschiedliche historische Epochen hinweg in ihren Aufnahmen gesellschaftliche Stereotype, die auf Vorstellungen von Rasse, Geschlecht, Klasse und Nationalität basieren, bestärken oder kritisieren. Die Ausstellung zeigt Serien und Sequenzen von Künstler*innen aus Europa, den USA, Lateinamerika und verschiedenen Ländern Afrikas sowie dokumentarische und vernakulare Fotografie. All diese künstlerischen Ansätze reflektieren, wie visuelle Formen, materielle Kultur und Archivstrukturen soziale Einstellungen konstruieren und prägen.
Die Wanderausstellung Structures of Identity zeigt einen umfangreichen Querschnitt der Sammlungsbestände von The Walther Collection und wurde 2017 das erste Mal im Rahmen der AIPAD präsentiert. Während das kuratorische Konzept unverändert blieb, wurde die Ausstellung an die Räumlichkeiten der nachfolgenden Ausstellungsorte angepasst.
Seit der Erfindung der Fotografie im Jahr 1839 diente das Porträt in wissenschaftlichen Studien sowie privaten und kommerziellen Bildarchiven dazu, den durch die industrielle Revolution verursachten gesellschaftlichen Wandel zu dokumentieren und soziale Hierarchien neu zu definieren. Frühe fotografische Medien wie die Daguerreotypie, Ferrotypie oder cartes de visite zeichneten sich häufig durch stark konventionalisierte Darstellungen verschiedener Personengruppen aus und nutzten die Formate der Typologie, Taxonomie und Serialität, um die komplexen Sozialstrukturen moderner Industriestaaten zu analysieren und zu katalogisieren.
In seinem Meisterwerk "Antlitz der Zeit" (1929) bemühte sich August Sander um eine wirklichkeitsgetreue Fotografie, die es ihm erlaubte, unterschiedliche gesellschaftliche Schichten des frühen zwanzigsten Jahrhunderts in Deutschland herauszuarbeiten und zu kontextualisieren. Ihm gelang es dabei, die seelische Verfasstheit einer Zeit zum Ausdruck zu bringen, indem er auf unsentimentale Weise eine im Wandel begriffene Gesellschaft einfing.
Seydou Keïta porträtierte während der 1950er Jahre vorwiegend die urbane Mittelschicht Bamakos kurz vor der Unabhängigkeit Malis von Frankreich, einer Zeit, in der dramatische gesellschaftliche Veränderungen auf politischer, demographischer und familiärer Ebene stattfanden. Sowohl Sander als auch Keïta beschreiben aus der Sicht zweier unterschiedlicher Kulturen entscheidende Phasen des gesellschaftlichen Wandels in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und reflektieren die Rolle des Individuums innerhalb dieser historischen Prozesse sowohl in Deutschland als auch in Mali.
In den letzten Jahrzehnten nutzten Fotograf*innen das Format des Studioporträts oder der typologischen Struktur wiederholt als Ausgangspunkt für anspruchsvolle kritische Untersuchungen und um bestimmte soziale oder historische Milieus zu erfassen: Richard Avedons 69-teilige Serie "The Family" zeigt das politische Establishment der USA vor der Präsidentschaftswahl im Jahr 1976, während Accra Shepp in einer umfangreichen Porträtreihe eine Chronik der Occupy Wall Street-Proteste zwischen 2011 und 2012 erschafft.
Auch andere Arbeiten eignen sich die Strategie der seriellen Anordnung nicht etwa an, um die normativen Rollenvorstellungen bestimmter Gesellschaften zu wiederholen, sondern um eben diese infrage zu stellen – beispielsweise Zanele Muholis Porträts schwarzer Queers und Transgender in Südafrika, Samuel Fossos Reinszenierungen von Ikonen der panafrikanischen Befreiungs- und afroamerikanischen Bürgerrechtsbewegung, Guy Tillims Bilder von Kindersoldaten in der Demokratischen Republik Kongo oder Hiroh Kikais Taxonomie von Bewohnern des Tokioter Stadtteils Asakusa. Diese Serien regen zum Nachdenken über die zugrundeliegenden gesellschaftlichen Ordnungsstrukturen an und decken ein breites Spektrum vorherrschender und unterrepräsentierter Rollen und flexibler Identitäten auf.
Die Ausstellung hinterfragt die Idee eines stabilen, authentischen Ichs, indem sie Werke von Künstler*innen und Modellen zeigt, deren Fotografien gängige Erwartungshaltungen unterwandern und tradierte Muster von Identitätszuschreibung herausfordern. Von besonderer Bedeutung ist dabei die Frage, wie Fotograf*innen das Format der Serie – eine Präsentationsstrategie, in der das Einzelbild an Bedeutung verliert und nur in Bezug zu den anderen Bildern der Serie an Relevanz gewinnt – einsetzen, um jene politischen und kulturellen Faktoren zu erforschen, die individuelle und kollektive Subjektivität prägen.
Structures of Identity beleuchtet, wie soziale und individuelle Identität in der Fotografie betrachtet und dargestellt werden und verdeutlicht die kontinuierlichen Bemühungen von The Walther Collection, die Geschichte des Mediums jenseits konventioneller kultureller, geografischer und zeitlicher Grenzen zu diskutieren und zu betrachten.
Die Stiftung Foto Colectania wurde 2002 in Barcelona mit dem Ziel gegründet, Fotografie einem breiten Publikum zugänglich zu machen und sie als Genre in die künstlerisch und pädagogisch arbeitenden Kreise Spaniens einzugliedern. Die Programme der Stiftung – Ausstellungen, Veranstaltungen und Publikationen – basieren auf dem innovativen, partizipativen und integrativen Konzept, Bilder und ihre Grundlagen zu untersuchen, sowie ihre Kommunikationsfähigkeiten und ihr Vermögen, kritisches Denken anzuregen, zu verbessern. Sowohl im lokalen Umfeld Barcelonas als auch international arbeitend, unterstützt die Foto Colectania auch katalanische und spanische Künstler*innen dabei, ihre Arbeiten im Ausland zu zeigen und zu verbreiten.
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