Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, K21, Düsseldorf, Germany
4/9/2022 - 9/25/2022
Wie spiegeln sich historische und kulturelle Transformationsprozesse im Medium der Fotografie? Mit mehr als 500 fotografischen Werken aus Afrika, seiner Diaspora und Europa zeichnet die Ausstellung Dialoge im Wandel: Fotografien aus The Walther Collection die Entwicklung der Fotografie als eine Geschichte transnationaler Parallelen und Widersprüche nach. Sie zeigt die Bezüge zwischen den Anfängen ethnografischer Dispositive während der Kolonialzeit, der selbstbestimmten Studiofotografie ab den 1940er Jahren und dem visuellen Aktivismus zeitgenössischer Künstler*innen. Systematisch decken die hier zusammengestellten Fotografien und Medienkunstwerke das ambivalente – und sich wandelnde – Verhältnis zwischen Bild und Selbstbild, Porträt und sozialer Identität, Darstellung und Inszenierung auf.
Ein wichtiger Bezugspunkt ist die von Okwui Enwezor (1963–2019) kuratierte Gruppenausstellung Momente des Selbst: Porträtfotografie und soziale Identität 2010 in der The Walther Collection. Enwezor, einer der einflussreichsten Kuratoren der letzten Jahrzehnte, zeigte am Beispiel der Porträtfotografie, dass die Möglichkeiten der fotografischen Bildproduktion geografisch und historisch nicht gleichförmig verlaufen, sondern von Brüchen und Gegensätzen – sowie auch von Dialogen – geprägt seien. Mit seiner Präsentation versuchte er „die konzeptionelle und komparative Beziehung zwischen Traditionen des Bildermachens“ und die „Veränderungen der afrikanischen Identität und afrikanischen Subjektivitäten auf dem Weg von der kolonialen zur postkolonialen Moderne“ nachvollziehbar werden zu lassen.
Ein gutes Jahrzehnt später würdigt die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen die wegweisende Pionierleistung Okwui Enwezors sowie das außergewöhnliche Engagement des Sammlers Artur Walther. Dank ihrer fundierten Beiträge zur Erweiterung der Kulturgeschichte der Fotografie ist es uns heute möglich, bahnbrechende Bildprojekte vorzustellen, die in den Diskursen dieses Museums bisher kaum berücksichtigt wurden.
Wie 2010 in Momente des Selbst und der 2013 von Tamar Garb kuratierten Ausstellung Distance and Desire, markieren auch im K21 dialogische Gegenüberstellungen mit Seydou Keïta und August Sander; Malick Sidibé, J.D. 'Okhai Ojeikere und Bernd & Hilla Becher; Santu Mofokeng und Alfred Martin Duggan-Cronin als konzentrierte Zeitkapseln den Rundgang. Sie skizzieren die komplexen und sich wandelnden Wechselbeziehungen zwischen gesellschaftlichen Veränderungen, sozialen Identitätsprozessen und künstlerischen Bildproduktionen. Sichtbar werden die dokumentarischen Möglichkeiten der Porträtdarstellung, die Bedeutung typologischer, taxonomischer und serieller Strukturen für das Medium der Fotografie sowie die Macht und Ambivalenz des fotografischen Blicks.
Die historischen Dialoge werden begleitet von queer-performativen Porträts von Rotimi Fani-Kayode (1955–1989) sowie seriell angelegten Werkzyklen künstlerisch-konzeptuell arbeitender Fotograf*innen wie Yto Barrada, Samuel Fosso, Sabelo Mlangeni, Zanele Muholi, Mwangi Hutter, Grace Ndiritu oder Berni Searle. Geprägt von visuellem Aktivismus und subversiver Agenda stellen die vorwiegend in den frühen 2000er Jahren entstandenen Arbeiten binäre Körperkonzepte in Frage, brechen mit konventionellen Geschlechterrollen und fechten kulturelle Aneignung und strukturellen Rassismus an.
In den fotografischen Arbeiten von Theo Eshetu, David Goldblatt, Santu Mofokeng, Jo Ractliffe, Mikhael Subotzky und Guy Tillim steht der Lebensraum des Menschen im Fokus: Der bebaute Raum, die verdichteten Strukturen der Großstädte oder die weite, leere Landschaft. In diese haben sich die Spuren (post)kolonialer und (post)industrieller Auseinandersetzungen ebenso eingeschrieben wie die Zeugnisse von Spiritualität, Trauma und kollektiver Erinnerung.
Die Stimmen jüngerer Künstler*innen sind vertreten durch neu erworbene Werke von Edson Chagas, Em’kal Eyongakpa, François-Xavier Gbré, Délio Jasse, Lebohang Kganye, Mimi Cherono Ng’ok, Mame-Diarra Niang und Dawit L. Petros. Ihre Werke stehen für einen zeitgenössischen Paradigmenwechsel in post- und dekolonialen Gegenwartsdiskursen und geben Einblick in die gegenwärtigen Möglichkeiten und komplexen thematischen Verdichtungen einer vielstimmigen, subjektiven und engagierten Fotografie aus afro-diasporischer Perspektive.
Die Ausstellung wird von Maria Müller-Schareck und Vivien Trommer kuratiert, in Zusammenarbeit mit The Walther Collection konzipiert und künstlerisch / kuratorisch beraten von Renée Mussai.
Beratung durch Contemporary & (C&)
Maria Müller-Schareck hat Kunstgeschichte, Archäologie und Romanistik in Köln und Bonn studiert. 1986 promovierte sie über „Aspekte der Dada-Rezeption in den 1950er Jahren“. Nach einem Volontariat in der Staatsgalerie Stuttgart (1987/88) ist sie seit 1988 Kuratorin an der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf. In Zusammenarbeit mit der Tate Modern, London, realisierte sie zuletzt Retrospektiven über das Werk von Agnes Martin (2015/16) und Anni Albers (2018). Auch war sie Teil des kuratorischen Teams, das das umfangreiche Ausstellungsprojekt "museum global. Mikrogeschichten einer ex-zentrischen Moderne“ (2015 – 2018) umsetzte.
Vivien Trommer ist seit 2021 Kuratorin an der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf. Zuvor war sie Kadist Curatorial Fellow in Paris, Curatorial Resident am Ludlow 38 in New York und kuratorische Assistentin an der Kunsthalle Wien. Sie studierte Curatorial Studies an der Städelschule und der Goethe-Universität in Frankfurt am Main sowie Kunstgeschichte und Gender Studies an der Humboldt-Universität zu Berlin. 2020 wurde sie an der Universität zu Köln promoviert.
Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen / K21 Ständehausstraße 1 40217 Düsseldorf, Germany