7.9.2018 — 26.1.2019
The Walther Collection präsentiert Scrapbook Love Story: Memory and the Vernacular Photo Album, eine Ausstellung einzigartiger Foto- und Sammelalben von den 1890ern bis in die 1970er Jahre.
Von der Erfindung der ersten tragbaren Kodak Kamera im Jahr 1888 bis hin zur weit verbreiteten Nutzung digitaler Plattformen zum Sammeln und Teilen von Bildern, ist das Fotoalbum das wohl bekannteste und beliebteste Format zur Betrachtung von Fotografie sowie zur Archivierung kollektiver Erinnerungen und sozialer Identität. Angesichts der Allgegenwart und der sowohl inhaltlichen als auch visuellen Komplexität vieler Fotoalben ist es erstaunlich, wie wenig Aufmerksamkeit solche Alben bislang erfahren haben und wie selten sie als historische Dokumente oder künstlerische Leistung wahrgenommen und kritisch betrachtet werden. Die von Privatpersonen und Sammler*innen zusammengestellten Alben dokumentieren Alltagsmomente, Liebesbeziehungen, Kriegserfahrungen, Freundschaften und Szenen häuslicher Intimität.
Die chronologisch aufgebaute Ausstellung untersucht die Entwicklung des Mediums von streng reglementierten und genormten Familienalben bis hin zu kunstvoll gestalteten Fototagebüchern voller spontaner Momentaufnahmen. Die ausgestellten Alben zeichnen sich durch gleichermaßen sorgfältig wie originell arrangierte Kombinationen von Fotografien, handschriftlichen Notizen und gedruckten Ephemera wie Briefen und Postkarten, Werbematerial, Eintrittskarten oder anderen Kleindrucksachen aus.
Eines der Alben wurde von Absolvent*innen der staatlichen Blindenschule von Ohio während mehrerer Jahrgangstreffen zusammengestellt, während ein anderes die mit sexuellen Anspielungen gespickten Erinnerungen des Soldaten Richard Hicks Bowman aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs enthält, reichhaltig illustriert mit Briefmarken oder anderen Souvenirs. In einem weiteren Album schildert eine Collage von Erinnerungsstücken und gefühlvollen Korrespondenzen die Liebesgeschichte eines Paares von der College-Romanze bis zur gemeinsamen Ehe.
Die ausgestellten Bände verweisen auf die zwei wichtigsten Merkmale jedes Fotoalbums: den intensiven Austausch zwischen den Fotograf*innen und ihren Modellen, die begeistert posieren oder spontane Darbietungen für die Kamera inszenieren, sowie die Kreativität und Leidenschaft des jeweiligen Gestalters eines Albums bei Arrangieren und Collagieren der Bilder und Texte. Die Möglichkeit, persönliche Erlebnisse durch das Sammeln, Arrangieren und Interpretieren privater Schnappschüsse anschaulich nachzuerzählen, markiert eine Innovation im Erzählen von autobiografischer Geschichten und Erinnerungen.
Ziel der Ausstellung ist es, diese einzigartigen fotografischen Objekte und Erinnerungen, die nicht mehr ausschließlich von persönlicher Bedeutung sind, in einem größeren kulturellen Kontext zu betrachten. Solch private Geschichten sind stets auch ein Ausdruck ihrer Zeit und der jeweiligen sozialen Umstände, sie reflektieren zeitgenössische Sichtweisen von Familie, Geschlecht, Rasse und Nation. Als Vorläufer der digitalen Feeds, die heutzutage auf Social Media Plattformen zu finden sind, zeichnet sich das Medium des Fotoalbums durch den modernistischen Impuls aus, den Alltag zu dokumentieren, zu archivieren und zu interpretieren.
Scrapbook Love Story ist die dritte Ausstellung im Rahmen von "Imagining Everyday Life: Aspects of Vernacular Photography", einer mehrjährigen Ausstellungsreihe von The Walther Collection, die sich mit der Geschichte der vernakularen Fotografie beschäftigt – mit Bildern, die in erster Linie für kommerzielle oder private Zwecke und weniger im Zusammenhang mit einer ästhetischen Konzeption entstanden sind.
"Imagining Everyday Life" untersucht die vielfältigen Gebrauchsweisen sowie die gesellschaftliche und historische Bedeutung dieser nicht-künstlerischen Fotografie. Das dazugehörige Programm umfasst fünf Themenausstellungen sowie ein im Herbst 2018 stattfindendes internationales wissenschaftliches Symposium in New York, und endet 2021 in einer groß angelegten, von Brian Wallis kuratierten Ausstellung in dem sammlungseigenen Museum von The Walther Collection in Neu-Ulm, zu der auch ein umfassender, gemeinsam mit dem Steidl Verlag herausgegebener Katalog erscheinen wird.
Die Südwest Presse über vernakulare Fotografie und Imagining Everyday Life: Engagements with Vernacular Photography