Großbritannien und Kenia, geb. 1976; lebt und arbeitet in London, Großbritannien
Die in London lebende Grace Ndiritu bezieht häufig Stoff und Textilien in ihre, wie sie sagt, "handgemachten" Videos und Installationen mit ein, um subtile Gesten, auffällige Muster und amorphe Formen zu dynamischen Aussagen zusammenzuführen und so Bezüge zu Skulptur, Performance und Fotografie herzustellen. In Nightingale (2003) tritt die Künstlerin vor die Videokamera und hantiert in Nahaufnahme mit einem großen Stück leuchtend rotem Stoff, das sie sich um Kopf, Schultern, Arme und Leib schlingt. Dabei schwanken die beschleunigt wirkenden Bewegungen zwischen spielerisch und kraftvoll (dies vermittelt vor allem der Blick der Künstlerin, der stets auf die Kamera gerichtet ist) und rufen Assoziationen von Burkas, Bauchtanz, Kopftüchern und Kufijas oder Turbanen hervor. Auf einer weiteren Ebene wechseln diese und andere Performances zwischen augenfälligen Anspielungen auf den Zusammenhang von Gender, Stoff und nackter Haut. Durch die Akzentuierung der Materialität, Geschmeidigkeit und Anschmiegsamkeit des sich um ihren Körper hüllenden Stoffs vermag Ndiritu ihn als Gegenstand mit beträchtlicher Präsenz zu inszenieren - eine Präsenz, die die Zeitbedingtheit des Mediums Video reflektiert und thematisiert. Fließende und bewegliche Stoffe bieten die Möglichkeit, über Form und Bewegung nachzudenken, und deuten eine vertiefte Auseinandersetzung mit Fragen des Animiert-seins an. Der Stoff erhält somit ein Eigenleben und Handlungsmacht, er wird autonom und definiert den Raum, und je nachdem begrenzt, befreit, verdeckt oder betont er den Körper der Künstlerin.
Wie Ndiritu selbst erklärt hat, speisen sich ihre Studien und Performances und deren Dokumentation aus einer älteren Tradition, nämlich der Aneignung von Stoff und Material (Volumen) und ihrer Übertragung auf die Bildfläche (Oberfläche) bei Matisse und in der Moderne; diese Arbeiten erweitern auf ähnliche Weise das Konzept der Autonomie und verweisen auf die gesellschaftliche Macht der Fotografie und ihr Verhältnis zur Selbstdarstellung. In dieser Hinsicht lassen sich Ndiritus Arbeiten als Fortsetzung der Fotografie von Seydou Keïta sehen, dessen Studioporträts die Einwohner Malis in den 1940er und 1950er Jahren als selbstbewusste, souveräne Menschen vor breiten Bahnen gemusterter Stoffe zeigen. Auch hier ist die Verbindung zwischen Autonomie und Animiert-sein hervorgehoben; in Ndiritus Videos wie in Keïtas Fotografien dient das Bewusstsein für die Präsenz der Kamera dazu, sowohl den Fotografen wie den Fotografierten zu animieren.